Ich nahm am Event L!ppstART15 – Offene Kunstorte in Lippstadt – teil und zeigte im Stadtarchiv, wie aus Archivalien und div. Quellen meine Texte entstehen. Das Ergebnis: drei „100 word stories“ habe ich geschrieben.
100 word stories – auch drabble genannt – sind genau das, was man denkt: Geschichten aus jeweils 100 Wörtern. Nicht mehr, nicht weniger. Exakt einhundert!
Biografisch | fiktiv | in Anlehnung an eine wahre Begebenheit
Frühe Kindheit

Sie sieht die Pfeife von René Magritte, als sie das Archiv betritt und denkt an ihren Opa. Er rauchte früher Zigarre, nie Pfeife. Als kleines Mädchen saß sie auf seinem Schoß und freute sich, wenn er Rauchringe in die Küche blies. Mit dem Finger wollte sie diese aus der Luft sammeln.
Vormittags gingen sie spazieren. Sie kauften die „Hörzu“. Das Geräusch des Gummibandes, wie es über die gerollte Zeitschrift gezogen wurde, hat sie noch heute im Ohr. Auf dem Rückweg – vor dem Mittagessen – kaufte der Opa heimlich Himbeereis und die rotgefärbte Zunge verriet das Geheimnis.
Die Oma hatte Gulasch gekocht.
Familienzusammenführung
Er erkennt den Bruder auf den Bildern, die man ihm zeigt, nicht. Er sei in Stalingrad gefallen, hatten die Eltern gesagt. Doch auf diesen Bildern ist der Bruder älter. Sie werden nach dem Krieg aufgenommen worden sein. Vielleicht in einem russischen Dorf. Er dreht eines der Bilder um. Dort stehe, sagt man ihm, Nähe Novosibirsk. Also doch: Russland. Bis 1988 habe er, der Bruder, dort gelebt. In seinem Nachlass sei ein Foto gefunden worden: Der kleine Franz, Lippstadt 1940 stehe hinten drauf. „Das bin ich“, sagt der alte Franz und weint. Wenn das die Eltern noch erlebt hätten, wünscht er.

Tante Luise
Das Problem: Tante Luise war nicht die Königin von Preußen.
Sondern: Tante Luise war mit Onkel Fritz verheiratet.
So könnte es gewesen sein:
„Verkaufen Sie uns Ihr Bauland?“, könnte die Stadt Lippstadt gefragt haben.
„Das mache ich nur, wenn Sie eine Straße nach meiner Frau benennen“, könnte Onkel Fritz zur Bedingung gemacht haben.
„Gut, es wird eine Luisenstraße geben“, könnte die Stadt Lippstadt geantwortet haben.
Ins Protokoll des Magistrats wurde geschrieben, „Benennung in Erinnerung an Königin Luise“, aber das könnte Onkel Fritz nie verraten worden sein. Noch heute ist die Familie stolz auf ihre Tante-Luisenstraße.
Raffiniert gelöst. Chapeau!